Das Amtsgericht Siegen hat in einem Beschluss vom 28.09.2007 (33 XVII B 710) die Anforderungen an die Wirksamkeit einer Patientenverfügung konkretisiert.
Im vorliegenden Fall ging es um eine demenzkranke Patientin. Diese hatte in einer Patientenverfügung bestimmt, dass sie „im Falle einer ernsthafen, lebensbedrohlichen Erkrankung, keine lebensverlängernden Maßnahmen (…) haben möchte.“ In einer weiteren festgehaltenen Aussage hatte sie erklärt, „keine lebensverlängernden Maßnahmen“ zu wünschen, wenn ein „menschenwürdiges Weiterleben“ nicht mehr gewährleistet sei.
Später erkrankte die Patientin so schwer, dass eigenverantwortliche Entscheidungen nicht mehr möglich waren. Das Gericht hatte nun über die Frage zu entscheiden, ob die Betreuerin der schwerkranken Frau die lebensverlängernden Maßnahmen, hier durch künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, beenden durfte.
Das Gericht bestimmte, dass die Patientin weiterhin künstlich zu ernähren und mit Flüssigkeit zu versorgen sei. Dabei hat es zwei wichtige Gesichtspunkte berücksichtigt. In ausdrücklichem Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vertritt das Amtsgericht die Auffassung, dass es nicht darauf ankommen kann, ob eine Krankheit einen irreversiblen, tödlichen Verlauf genommen habe, da diese Ansicht nicht mit den Grundrechten auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrheit vereinbar sei. Jeder habe das Recht, sich selbst zu gefährden oder auch notwendige medizinische Maßnahmen zurückzuweisen.
Dennoch sah das Gericht hier keinen Grund, die Beendigung der lebensverlängernden Maßnahmen zuzulassen. Die in der Patientenverfügung getroffenen Bestimmungen „lebenserhaltende Maßnahmen“ und „menschenwürdiges Weiterleben“ sein zu unbestimmt und müssten daher im konkreten Fall ausgelegt werden. Im vorliegenden Fall sei es dabei nicht gelungen, zu ermitteln, wie die kranke Frau diese Begrifflichkeiten verstanden wissen wollte.
Zudem hatte Gericht Zweifel, ob die schwere Demenzerkrankung von der Patientin als ernsthafte und lebensbedrohliche Erkrankung gewertet werden kann.
Insgesamt sei der mutmaßliche Wille der Patientin somit nicht zu ermitteln gewesen. Hierfür wäre es erforderlich gewesen, dass sich ihre Lebensentscheidungen, Wervorstellungen und Überzeugungen genau genug feststellen lassen hätten, um jeden vernünftigen Zweifel auszuschließen, wie die Frau selbst entscheiden würde, wenn sie ihren Willen noch äußern könnte. Das Gericht sah sich deshalb gezwungen, dem Lebensschutz Vorrang einzuräumen.
Die Entscheidung kann im Volltext hier abgerufen werden.
Anmerkung:
Die Entscheidung weist zwei wichtige Aspekte auf, die es näher zu untersuchen gilt. Zum einen führt das Gericht überzeugend aus, dass es für die Frage des Selbstbestimmungsrechts eines Patienten nicht darauf ankommen kann, dass bereits ein unumkehrbarer Prozess des Sterbens eingesetzt hat. Jeder Mensch kann, wenn er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, die Annahme ärztliche Hilfe verweigern, auch wenn dies seinen Tod bedeutet. Dies ist die logische Konsequenz des Selbstbestimmungsrecht und letztlich auch Ausfluss der verfassungsrechtlich geschützten Menschenwürde. Insoweit darf niemand gegen seinen Willen zum Leben gezwungen werden.
Auf der anderen Seite ist der Staat verpflichtet das Leben zu schützen und gefährdeten Personen, wie zum Beispiel Kranken, beizustehen. Hiervon darf und muss er nur dann Abstand nehmen, wenn kein Zweifel besteht, dass die Person in der konkreten Situation nicht mehr weiterleben möchte. Diesen Willen muss er dann respektieren.
Die Schwierigkeit besteht darin, diesen (mutmaßlichen) Willen dann zu ermitteln, wenn der Betroffene ihn nicht mehr selbst äußern kann. Dies kann bei Komapatienten oder eben wie hier auch bei Demenzkranken der Fall sein.
Die Entscheidung zeigt auf, wie hoch die Anforderungen an eine Patientenverfügung sind. Es genügt eben nicht, den Wunsch sterben gelassen zu werden nur abstrakt zu formulieren. In der Patientenverfügung muss klar zum Vorschein kommen, dass sich der Patient mit der Möglichkeit des Sterbens und der Situation, in der er seinen Willen nicht mehr selbst äußern kann, hinreichend auseinandergesetzt hat. Es muss klar werden, unter welchen Umständen der Verfügende nicht mehr von einem meschenwürdigen Leben ausgeht und deshalb auf lebenserhaltende- oder -verlängernde Maßnahmen verzichtet.
Es erscheint daher ratsam, in der Patientenverfügung eine Erklärung aufzunehmen, aus der sich ergibt, welche Umstände als unabdingbar angesehen werden, um das Leben noch als menschenwürdige Existenz zu begreifen. Genauso wichtig ist es, dass dies der Verfügende auch gegenüber seinen Angehörigen und Freunden äußert und mit diesen bespricht. Insoweit kann deren Aussage bei einer möglichen späteren gerichtlichen Entscheidung große Bedeutung beikommen.
Rechtsanwalt Alexander T. Schäfer
Medizinrecht & Schadensmanagement | Frankfurt am Main